Naginata und Kendo

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Sowohl Naginata als auch Kendô sind aus den Kampfkünsten des japanischen Rittertums hervor gegangen. Auf Grund ihrer gemeinsamen Abstammung gibt es naturgemäß viele Gemeinsamkeiten bezüglich Ausrüstung, Methodik, Wettkampfregeln und Geisteshaltung. Allerdings gibt es auch bedeutende Unterschiede. Insbesondere sind die Bewegungsabläufe grundverschieden. In den folgenden Abschnitten werden für Leser mit Kendô-Hintergrund einige Unterschiede beschrieben.

Ausrüstung

Die Kleidung ist der im Kendô prinzipiell gleich, jedoch werden andere Farben getragen: Weißer Gi und schwarzer Hakama. Ein Keiko Gi für Naginata unterscheidet sich darüber hinaus durch dünneren Stoff und kürzere Ärmel (bis zum Ellenbogengelenk) von der Kendôversion. Die Rüstung ist verglichen zum Kendô Bôgu abgeändert und erweitert.

Tare: Der Kendôausführung identisch (nicht wie in Jûkendô)

Dô: In der Regel der Kendôausführung identisch. Es existieren aber auch abgeflachte Ausführungen.

Sune Ate: Der auffälligste Unterschied zum Kendô Bôgu sind die zusätzlichen Schienbeinschoner (Sune Ate). Für den Wettkampf sind sie absolut unerlässlich, denn Sune ist in Naginata die wichtigste Trefferstelle. Sie bestehen in der Regel aus 6 vertikalen Bambusstreben, die auf einem ovalen Polster aufgenäht sind und unter dem Knie und am Fußgelenk festgeschnürt werden. Improvisierte Sune Ate kann man auch durchaus aus einem dicken Stoff und alten Shinai-Streben selbst herstellen.

Men: Idealerweise in der speziellen Naginataausführung. Kendô-Men sind grundsätzlich auch einsetzbar, wenn auch gewöhnungsbedürftig und außerhalb Japans die Regel. Naginata Men verfügen über kürzere Men Buton mit einem anderen Nahtverlauf, denn lange Seitenteile sind bei Hasso no Kamae und Furikaeshi-Techniken im Weg. Zusätzlich besitzen sie häufig breitere Tsuki Dare (wie in Jûkendô), damit der Hals besser geschützt ist, falls bei einem Stich der Kopf im seitlichen Stand nicht genügend eingedreht ist. Bezüglich des Schnürens ist die Stirn/Kehle/Stirn-Methode zu empfehlen wie sie auch in vielen Kendôjô Westjapans gelehrt wird, um sicher zu stellen, dass der Men bei einer Kopfdrehung nicht verrutschen kann.

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Kote: Kote für Naginata sind im Bereich des Handgelenks weicher und damit beweglicher gefertigt. Sie verfügen über einen abgesetzten Zeigefinger, um Handwechsel zu erleichtern. Man kann auch mit Kendô Kote trainieren, aber auf Dauer ist dies keine akzeptable Lösung, denn sie verleiten zu schlechter Technik und Haltung.

Was die Naginata in der Shiai-Ausführung betrifft, so benötigen die beiden Bambusstreben des Habu vergleichbare Aufmerksamkeit und Pflege wie bei einem Shinai, um Unfälle durch Bambusspäne zu vermeiden. Letztendlich sind sie aber Verbrauchsmaterial, während das Ebu mit einem neuen, aufgeklebten Habu dauerhaft wieder verwendet wird.

Kamae, Trefferstellen und Grundschläge

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In Naginata gibt es ebenfalls 5 Kamae, welche dieselben Namen tragen wie im Kendô. Sie stellen sich jedoch ganz anders dar, denn in Naginata ist der Körper in allen Kampfpositionen stets seitlich zum Gegner hin ausgerichtet und nicht frontal. Die verschiedenen Kamae haben in Naginata einen höheren Stellenwert als im Kendo, denn viele sind integraler Bestandteil für die Ausführung der Grundschläge und daher werden sie in der Praxis häufig gewechselt. Während die meisten Kendôka aus Chûdan no Kamae kämpfen und die anderen Kamae (mit Ausnahme von Jôdan no Kamae) weitgehend nur in der Nihon Kendô Kata verwendet werden, sind für Naginataka schnelle Wechsel zwischen Chûdan, Hasso und Waki essentiell. Handwechsel und der Kampf aus den beiden Körperorientierungen (linke bzw. rechte Schulter zum Gegner gewandt) sind ebenfalls Standard.

Die aus dem Kendô bekannten Trefferstellen Men, Kote, Dô und Tsuki existieren auch in Naginata. Sune (Unterschenkel) ist die naginatatypische zusätzliche Trefferstelle. Darüber hinaus sind schräge Menschläge (Soku Men), die unter einem Winkel von 25°-30° auftreffen, ein häufiges Angriffsziel. Bei der Ausführung eines Schlages ist es ebenfalls wichtig, dass die hintere Hand die Hauptarbeit übernimmt, welche je nach aktueller Körperstellung die linke oder die rechte Hand sein kann.

Auf Grund der Gewöhnungsbedürftigkeit der seitlichen Stellungen, der größeren Zahl an Grundschlägen und der Tatsache, dass diese (wie auch jede Form von Fußarbeit) von beiden Seiten ausgeführt und geübt werden müssen, ist die Naginata-Grundschule umfangreicher als die des Kendô.

Trefferkriterien im Shiai

In Naginata gibt es nicht die Anforderung, dass ein gültiger Schlag mit Fumikomi Ashi ausgeführt werden muss, da es auch andere Bewegungsmuster gibt. Ebenso wird auch nicht das Durchlaufen durch den Gegner bei anhaltendem Kiai gelehrt. Dennoch ist Ki Ken Tai Ichi ebenfalls das oberste Prinzip für die Ausführung eines korrekten Treffers. Die einzelnen Elemente gestalten sich in Naginata jedoch stellenweise etwas anders. Das Kiai benennt ebenfalls die im Angriff befindliche Trefferstelle, ist aber kurz. Dennoch ist Atemkontrolle und das Atmen in das Körperzentrum wichtig.
Schritt und Schnitt müssen wie im Kendô gemeinsam erfolgen. Allerdings sind die Schritte eher gleitend als stampfend. Die meisten Schnittbewegung der Naginata gehen mit einer Körperdrehung einher, aus der zusätzliche Schnittschärfe abgeleitet wird. Die anderen Kriterien für die Gültigkeit eines Treffers wie das Schneiden mit dem Mono Uchi und Zanshin sind in Naginata genauso wichtig wie im Kendô.

Stellenwert von Kata

Für Naginata hat das Training von Kata eine größere Bedeutung als im Kendô. Auf Grund des im Vergleich zu Kendô jüngeren Alters der Budô-Disziplin Naginata ist die Bindung an Koryû Naginatajutsu, die hauptsächlich das Kata-Training als Lehrmethodik anwenden, heute noch stärker gegeben. Unter diesen klassischen Schulen sind insbesondere Tendôryû Naginatajutsu und Jiki Shinkageryû Naginatajutsu zu nennen, die prägenden Einfluss auf die Gestaltung von Naginata ausgeübt haben. Hochrangige Naginatalehrer gehören in der Regel auch einer alten Schule an. Die Ausübung von Naginata in der Budô-Ausprägung erfordert jedoch nicht zwingend das gleichzeitige Praktizieren einer Koryû Naginatajutsu. Für einen Anfänger kann dies sogar eher verwirrend sein.

Der Stellenwert des Kata-Trainings in Naginata spiegelt sich nicht zuletzt auch in dem Umstand wider, dass es mit dem Formenlauf (Engi) reine Kata-Wettkämpfe gibt und Naginata über zwei unterschiedliche Gruppen von Kata verfügt, die aus 8 bzw. 7 Formen bestehen.

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Naginata gegen Katana

Während beide Budô-Disziplinen heute den Kampf gegen die gleiche Waffe (Katana gegen Katana bzw. Naginata gegen Naginata) üben, haben viele alte Naginatajutsu-Schulen auch den gemischten Kampf in vielen Variationen gelehrt. Zu Katana und Naginata kommen - je nach Schule - die anderen klassischen Waffen wie Stock, Speer, Kurzschwert etc. noch hinzu, um den Schüler auf alle zu erwartenden Begegnungen im Kampf vorzubereiten. Der gemischte Wettkampf im Allgemeinen heißt Isshu Jiai. Im engeren Sinn wird hiermit der Kampf zwischen Naginata und Katana (d. h. Shinai) bezeichnet. Hier zeigen beide Waffen ihre spezifischen, taktischen Besonderheiten, die unter den Vertretern beider Lager gerne oft und ausgiebig diskutiert werden.
Die gemischte Paarung hat für beide Seiten einen besonderen Reiz, da sie eine Anpassung an eine neue taktische Situation erfordert. Beim Isshu Jiai kommen andere Abstände und Situationen vor als die standardmäßig eingeübten. Dies bewirkt ein gewisses latentes Verletzungsrisiko, das tendenziell auf der Seite des Kendôkas liegt. Die volle Beherrschung der Waffe ist daher Voraussetzung, weshalb der gemischte Kampf erst für Naginataka ab dem 2. Dan erlaubt ist.

Text: Andreas Nicol